Kultur- und Geschichtsverein
Frickhofen e. V.

Nassau und das Kirchspiel Blasiusberg

Am 14. Oktober 2015 hielt M.A. Oliver Teufer im Rahmen der Veranstaltungsreihe des Kultur- und Geschichtsvereins Frickhofen einen Vortrag, dessen Zusammenfassung wir hier gerne präsentieren möchten.

Thema des Abends war die Auseinandersetzung zwischen Otto I. von Nassau und dem Deutschen Orden um die Patronats- und Zehntrechte verschiedener Kirchspiele und Orte im Westerwald.

Dieser Konflikt fand seinen Abschluss mit dem "Schiedsspruch zwischen Graf Otto von Nassau und dem Deutschen Orden" von 1287

Oliver Teufer erläutert die wesentlichen Bedingungen, die zu dem Konflikt führten, wie auch die Wege zu seiner Lösung.

Eine vollständige Darstellung der Ergebnisse seiner Forschungen wird voraussichtlich in einer der nächtsen Ausgaben der Nassauischen Annalen nachzulesen sein.

Otto I. von Nassau und der Deutsche Orden im Streit um das Kirchspiel St. Blasius

von Oliver Teufer M.A.

Der Streit um das Kirchspiel St. Blasius behandelt einen, nicht unbedingt seltenen Disput um geistliche Pfründen und die aus ihnen stammenden Einnahmen. Dennoch bietet dieser Fall auf Grund seiner fast schon lückenlos zu nennende Quellenlage einen hervorragenden Einblick in das Verständnis von Macht- und Interessensdurchsetzung, welches die Handlungen des Westerwälder Adels über Jahrhunderte geprägt haben.

 

Karte Nassau 1645
Karte der Grafschaft Nassau

Als Konfliktparteien finden sich auf der einen Seite die Grafen von Nassau. Deren Vorfahren, die Grafen von Laurenburg, sind erstmals zwischen 1079 und 1082 nachweisbar, stammen aus dem Königssondergau und kamen als Vögte der Bistümer Mainz und Worms zu Macht und Wohlstand. Bis zu Beginn des 13. Jahrhunderts kontrollierte die Familie ein Territorium, welches sich beiderseits der Lahn, von Siegen bis nach Wiesbaden erstreckte. Bei der Vergrößerung ihres Herrschaftsraumes auf heftigen Widerstand treffend, galt insbesondere der Westerwald mit den Vier Zehnten, dem Amt Ellar und der Mark Hadamar, als heftig umkämpftes Gebiet. Nachdem Graf Otto I. und sein Bruder Walram II. 1255 die Grafschaft erstmals geteilt hatten, spaltete sich die Dynastie in zahlreiche Nebenlinien auf und existiert heute noch als Nassau-Oranien in den Niederlanden und Nassau-Luxemburg im gleichnamigen Großherzogtum.

Karte Balleien des Deutsches Ordens
Karte Balleien des Deutsches Ordens

Auf der anderen Seite steht der von Papst wie Kaiser immer wieder als „Schild der Christenheit“ bezeichnete Deutsche Orden. Gegründet im Rahmen des Dritten Kreuzzuges entwickelte sich aus der anfangs auf Armen- und Krankenpflege spezialisierten Gemeinschaft rasch ein straff organisierter Ritterorden. Im Zuge ihrer etwas mehr als 100 Jahre andauernden Präsenz im Nahen Osten waren es neben Templern und Johannitern die Deutschordensritter, welche das Gros christlicher Heere stellten. Daneben engagierte man sich bei der Bekehrung der heidnischen Pruzzen im Gebiet des heutigen Baltikums. Um die beschriebenen Aktivitäten durchführen zu können, brauchte der Orden vor allem eins: eine schier unerschöpfliche Menge an Geld. Begünstigt durch die Förderung seitens der Stauferkaiser wie sowie des Papsttums, bildeten sich die Grundlagen des späteren gewaltigen Ordensbesitzes, welche durch sog. Kammerballeien, unter anderem in Koblenz und Marburg, verwaltet wurden. Begünstigt wurde diese Entwicklung auch durch Stiftungen und Schenkungen durch zahlreiche Adelsfamilien des Reiches.

 

Die Schenkung von 1230/31 und deren Motive

 

Nassau vor 1800
Entwicklung von Nassau vor 1800

Und aus eben einer dieser Schenkungen entstand der hier zu behandelnde Konflikt. Um das Jahr 1230/31 übertrugen Graf Heinrich II., genannt der Reiche, und sein Bruder Ruprecht IV. dem Orden die Zehnten von 12 Ortschaften darunter Thalheim, Mühlbach und Frickhofen sowie die Patronate der Kirchen zu Herborn, Niederzeuzheim und St. Blasius. Diese wurden der Koblenzer Ballei unterstellt. Die Handlung der beiden Brüder war zunächst religiös motiviert. Angespornt durch Kreuzzugsprediger wie Bernhard von Clairvaux versuchte der komplette europäische Adel durch Stiftungen zugunsten geistlicher Orden, das eigene Seelenheil zu sichern. In der Schenkungsurkunde für die Kirchspiele Niederzeuzheim und Blasiusberg betont Heinrich II. zusammen mit seiner Ehefrau Mechthild sogar explizit, dies für das eigene und das Seelenheil seiner Eltern getan zu haben.

Auf der anderen Seite sind im Stiftungsverhalten machtpolitische Motive zu erkennen. Hierbei lässt sich zum einen die Furcht vieler Adelsfamilien wie der Nassauer Grafen vor einer Erbteilung anführen. Beim Eintritt in einen Mönchsorden bzw. einen Ritterorden verfiel der Erbanspruch des Betreffenden und ein Austritt war, es sei denn auf Anordnung des Papstes, nicht mehr möglich. In dem hierbei verfolgten Interesse Heinrichs erklärt sich zudem die zeitliche Differenz zwischen dem Eintritt Ruperts vor 1230 und der Schenkung des Kirchspiels um 1230/31. Es war üblich, erst nach einer einjährigen Probezeit das Gelübde abzulegen und ab dann festes Ordensmitglied zu werden.

Zudem verbesserte die Förderung des Deutschen Ordens das Verhältnis zu den Erzbischöfen von Mainz und Trier. Gegen letztere führte die Familie in ihren Besitzungen auf dem Westerwald lang andauernde Kämpfe aus, die 1212 zur Gefangennahme Erzbischof Dietrichs geführt hatten. Die Stiftung zahlte sich so denn schnell aus, gelang es doch einen vorteilhaften Frieden mit Mainz und Trier zu schließen und das außerordentlich lukrative Marschall- und Schenkenamt des Kölner Erzbischofs zu gewinnen.

 

Die Revisionspolitik Ottos I.

 

So vielfältig die Beweggründe Heinrichs II. für die Schenkung St. Blasiens an den Deutschen Orden waren, so vielfältig waren die Motive seines Sohnes Otto diese zu revidieren. Mehrheitlich resultierten sie aus der bereits angesprochenen Teilung von 1255, die Otto I. und seine Familie vor ganz neue Herausforderungen stellte. Hatte die Familie noch unter Heinrich dem Reichen auf dem damaligen Höhepunkt ihrer Macht gestanden, führte die Aufteilung des Herrschaftsbereiches unter den beiden erbberechtigten Söhnen natürlich zu einer Schwächung. Nachdem Otto die Besitzungen am rechten Ufer, mit Dillenburg aber auch den Vier Zehnten erhalten hatte, sahen seine Gegner eine Gelegenheit verlorenen Boden wieder gut zu machen. Neben den Erzbischöfen von Trier sah sich der Nassauer zugleich mit den Herren von Westerburg und Runkel, den Grafen von Sayn und den Grafen von Diez konfrontiert. Zu alledem hatte man sich mit rebellierenden Vasallen wie den Herren von Greifenstein zu beschäftigen.

Die hieraus entstehenden Konflikte stellten eine extreme finanzielle und personelle Belastung dar, die die Ressourcen der Nassauer auf Dauer überstiegen hätte. In seinem verzweifelten Bemühen finanzielle Mittel aufzutreiben, beschloss Otto I. Steuern und Zölle zu erhöhen. Die beständige Weigerung des Ordens diese und andere Abgaben zu leisten, führte zur Konfrontation. Allein aus den Kirchspielen Niederzeuzheim und Frickhofen konnte der Graf bei einer Wiedergewinnung auf Mehreinnahmen von 11,5 Mark kölnischer Silberwährung hoffen.

'Alte Burg' auf dem Blasiusberg
Die 'Alte Burg' auf dem Blasiusberg

Neben steigenden Steuereinnahmen waren Festigung und Ausbau der eigenen Machtstellung das bestimmende Leitmotiv Ottos. Mit dem Besitz des Kirchspiels konnten die Nassauer sich in die Nachfolge der ersten Landesherren stellen, die die Kirche gestiftet hatten, und so ihren Herrschaftsanspruch gegenüber ihren Konkurrenten legitimieren. Zudem war der Blasiusberg seit dem frühen Mittelalter nicht nur ein geistliches sondern ebenso administratives Zentrum und der Herr des Blasisusberges war seit jeher der von der Bevölkerung anerkannte Landes- und Gerichtsherr. Gleichzeitig war die nahe der Kapelle befindliche Befestigungsanlage von hoher geostrategischer Bedeutung.

Geldmangel und die schiere Notwendigkeit die eigene Stellung zu festigen bewegten Graf Otto, ja zwangen ihn letztlich gerade, dazu, die von seinem Vater an den Orden übertragenen Orte und Kirchspiele zurückzufordern.

 

Revision durch Fehde

 

Nach dem Führen mehrerer vergeblicher Gerichtsprozesse versuchte Otto I. auf gewaltsame Art und Weise eine Revision der Verhältnisse zu erreichen. Im Rahmen einer Fehde setzte er sich im Verlauf des Jahres 1277 wieder gewaltsam in den Besitz der geschenkten Orte und Kirchspiele samt der dort lagernden Vorräte an Getreide und anderen Wertsachen.

Überraschend ist die Tatsache, dass die Nassauer hierbei auf keinerlei oder kaum fassbaren Widerstand stießen. Eine Erklärung hierfür bietet der perfekte gewählte Zeitpunkt:

Zum einen hatte man einen Großteil der nach 1255 ausbrechenden Kämpfe gegen territoriale Konkurrenten sowie den eigenen rebellierenden Ritteradel nach und nach zum eigenen Vorteil beenden können. Im Rahmen dessen gewann die Familie weitreichende Rechte, was sie in die Lage versetzte, durch steigende Einnahmen wieder eine größere militärische Schlagkraft zu entwickeln.

Zum anderen bestanden gute Chancen, dass ein eventuelles Eingreifen des Königs wie des Papstes als Schutzherren und Förderer des Ordens auf sich warten lassen würde. So war König Rudolf I. zu diesem Zeitpunkt auf Grund seiner Feldzüge gegen Ottokar von Böhmen nicht in der Lage einzugreifen. Die Lage des Papsttums zu diesem Zeitpunkt war nicht besser. Das Jahr 1276 hatte nach dem Tode Gregors X. die Wahl von nicht weniger als drei Päpsten, Innozenz V., Hadrian V. und Johannes XXI., gesehen. In dieser Zeit andauernder Nachfolgestreitigkeiten war die Kurie nicht entscheidungsfähig, so dass eine Verurteilung durch den Nachfolger Petri für die Annektierung von Ordenseigentum nicht zu befürchten war.

Desweiteren standen dem Komtur einfach keine Soldaten zur Verfügung. Das Ordensheer befand sich entweder in einem verzweifelten und verlustreichen Abwehrkampf gegen die im Heiligen Land vorrückenden Muslime oder kämpfte im Baltikum gegen die heidnischen Pruzzen. Erschwerend kam die geringe Anzahl der Ordensangehörigen in den Balleien hinzu, die selten mehr als 13 Brüder zur gleichen Zeit umfassten.

Und letztlich hatte der Orden den Grafen selbst die besten Karten zugespielt. Seine rücksichtslosen Versuche über das Patronats- und Zehntrecht auf Kosten des lokalen Adels weiter zu expandieren, hatte es den Nassauern ermöglicht, bspw. mit Erlebold und Heinrich von Heuchelheim sowie Ludwig von Waldmannshausen zahlreiche lokale Helfern zu gewinnen.

 

Verhandlungslösung und Auswirkungen

 

Im September 1285, also nun schon acht Jahre nach der Wiederinbesitznahme durch die Nassauer, beauftragte Papst Honorius IV. den Abt des Kölner St. Pantaleon-Klosters mit der Anklageprüfung und Urteilsfindung in dieser Angelegenheit. Dieser stellte die Rechtmäßigkeit der Ordensansprüche fest, exkommunizierte die Nassauer und forderte die sofortige Rückgabe an den Koblenzer Komtur. Einer Forderung, der weder die Grafen noch ihrer Helfer in irgendeiner Form nachkamen.

Schiedsspruch Nassau 1286
Schiedsspruch Nassau 1286

Letztlich erlaubte Rom den zuständigen Bischöfen, insbesondere dem Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg, eine Lösung des Konfliktes auf dem Verhandlungsweg zu erreichen. In einem im Juni 1287 ratifizierten Abkommen kamen beide Seiten zu der Einigung, dass der Orden wieder die Zehnten in den 1230 geschenkten Orten und das Patronat für Niederzeuzheim inne haben, die Nassauer dagegen rechtmäßig das Patronat der fünf anderen Kapellen, darunter St. Blasius, besitzen sollten. Obwohl Letztere in der Schlichtungsurkunde nicht explizit genannt wird, fehlt sie in jeder weiteren Aufzeichnung des Ordensbesitzes. Darüber hinaus verzichtete der Orden auf Kompensationsforderungen und überließ seinen Gegnern damit die 1277 gemachte Beute.

Bleibt abschießend die Frage nach einem Verlierer und Gewinner. Bedenkt man die schlechte Ausgangslage, die Otto I. am Beginn seiner Rückgewinnungsbemühungen vorfand, stellt schon die teilweise Wiederinbesitznahme einen Erfolg dar. Der wirkliche Nutznießer dieses mehr als 30 Jahre andauernden Konfliktes war jedoch nicht Otto sondern sein Sohn Emich, der nachdem die Grafschaft wieder geteilt worden war, seine Residenz und seinen Herrschaftsschwerpunkt in und um Hadamar konzentrierte. Der Besitz St. Blasiens und der wiedergewonnen Orte im näheren Umkreis bot ihm die dafür nötige Grundlage und erfüllte die Hoffnung des Nassauers in diesem Raum dauerhaft bestehen zu können.