Kultur- und Geschichtsverein
Frickhofen e. V.

Die Geschichte ist alt und wird seit Generationen überliefert: Die Aktion eines einzelnen Frickhöfer Bürgers gegen einen französichen Soldaten. Die Erinnerung lebt aber vielleicht auch deshalb fort, weil diese spontane Tat für das gesamte Dorf Konsequenzen hatte. Und nicht zuletzt gab sie einem Ortteil seinen Namen: "Klaa Frankreich".

Thomas Stähler, Niederdorf, hat nach langen Recherchen die bisher älteste schriftliche Fassung der Geschichte in den Archiven gefunden. Es handelt sich um einen Artikel des damaligen Lehrers an der Frickhöfer Volksschule, H. Horn, die am 9. August 1929 in der Beilage "Land und Zeit2 des "Nassauer Boten" (8. Jahrgang, Nr. 12) veröffentlicht wurde. Gerne geben wir hier den Artikel im vollständigen Wortlaut wider.

Wie der Artikel von Lehrer Horn zeigt, hatte die Geschichte aber auch noch andere Auswirkungen auf das Dorfleben. So führte die Errichtung eines Gedenksteins durch die damaligen Kirmesburschen zu einem jahrzehntelangen - heute jedoch nicht mehr existierenden - Brauch, der "Heldentat" am Kirmesmontag zu gedenken.

Hieran anknüpfend versucht eine Gruppe von Frickhöfern - insbesondere aus dem Niederdorf - die Geschichte um den Begriff "Klaa Frankreich" wieder in Erinnerung zu bringen. So hat der Frickhöfer Kunstmaler Günter Schardt eine Fahne entworfen, die die fragliche Szene zeigt, und die demnächst bei einem Fahnenhersteller in Auftrag gegeben werden soll. Weiterhin soll am Hause Hartmann, Niederdorf, eine Gedenkplakette angebracht werden.

Interessenten können sich gerne mit Günter Schardt in Verbindung setzen.

Der ursprüngliche Standort und der Verbleib des "Dicken Steines" ist übrigens derzeit noch nicht völlig aufgeklärt. Daher kann zur Zeit an dieser Stelle keine Planskizze oder Foto hierzu begefügt werden.

Ein Bericht des Lehrers H. Horn aus dem Jahr 1929

"Klein-Frankreich"


Ein Ausschnitt aus der Geschichte Frickhofens

Schwer seufzten die Westerwälder unter den Folgen der Koalitionskriege, die seit einem Jahrzehnt französische Jakobiner, napoleonische Soldaten und österreichische Truppen durch das Land fluten ließen.

Einquartierung folgte auf Einquartierung. Eine Fronfahrt löste die andere ab. Verpflegung mußte von den notleidenden Einheimischen den fremden Truppen gewährt werden. Selbst für Ausrüstungsgegenstände, wie Leder, blaues Tuch, und anderes mehr mußte der Bürgermeister in den Gemeindesäckel greifen, wie Quittungen aus jener Zeit beweisen.

Doch nicht nur diese notwendigen Dinge wurden gefordert, sondern sogar Genußmittel gingen auf Kosten der Gemeinde. Zum Beweise dafür, folgende Quittungen aus der Franzosenzeit:

Quittung.

Bescheine ich unterschriebener, daß Mir der Bürgermeister Johannes Stahl J. Vor 14 mas Brandwein die Franzosen empfangen haben Kostet 1 mas 18 al. Suma 8 fl. 12 al. Worüber ich den Bürgermeister über die rüchige Zahlung rüchig Quitieren.

Dorchheim, 9ten Febr. 1798
8 fl. 12 al.

Quittung.

Uiber 122 fl. 4 al. Hat der Bürgermeister Johannes Stahl Jünger an mich unterschriebenen Jakobus Heerp Jünger Vor Empfangen waren an Kaffee Zucker und Brandwein und Bier und Bahrgeld das die Franzsösche offezier empfangen haben: Vom Jahr 1798 Worüber ich den Bürgermeister rüchtig Quitieren.

Frickhofen, d. 31ten December 1798.
Jakobus Heep Jüger.
122 fl. 4 al.

So wurde die Bevölkerung ausgesogen, verbittert und die Gemeindekasse durch Kriegslasten geschwächt, wie eine Zusammenstellung aufgenommener Kapitalien aus der Franzosenzeit zeigt, die keinerlei Anspruch auf lückenlose Vollständigkeit macht:

An Joh. Geörg Schar zu Hadamar die Interesen von 150 fl.
7 fl. 15 al.

Vom 3000 fl. Kapital die Zinßen an Hl. Rentmeister Stahl zu Hadamar zahlt
159 fl. – al.

An Heimbgr. Hardmann zu Thalheim von 955 fl. Kapital die Interessen
47 fl. 22 al.

An Franz Pauli zu Hadamar von 2400 fl. Kapital die Zinßen
120 fl. – al.

An Herrn Aktuarius Helmerich Namens der Frau von Erath von 3500 fl. Kapital die Zinßen
176 fl. – al.

An Herrn Aßeßor Holzglau von 1200 fl. Kapital
60 fl. – al.

An Joh. Franz Gengler zu Hadamar vom Kapital 6000 fl. an rückständigen Zinßen
347 fl. – al.

400 fl. Kapital von Johann georg Bill und Anna Maria dessen Ehefrau zu Ellar
zur Bezahlung von Kriegskosten

Jeden Tag erwartete man neue Bedrückungen, neue Schicksalsschläge und hatte sich in ohnmächtiger Wut in das traurige Los einer unterdrückten Bevölkerung, die unter Fremdherrschaft seufzt, ergeben.

Aber als in den ersten Tagen des Jahres 1806 der damalige Bürgermeister Johannes Stahl Bender samt dem Heimberger Jung, den vier Vorstehern Wüst, Schandua, Kühn und Scherer auf das Fürstliche Amt Ellar geladen und ihnen dort eröffnet wurde, daß das Fürstentum Hadamar aufgehört zu bestehen und die Gemeinde Frickhofen von nun ab zu dem Großherzogtum Berg gehöre, desen Herr der Großherzog Joachim Murat, ein Schwager des großen Kaisers, sei. War das Maß der Erbitterung voll.

Zu der schon bestehenden Unterdrückung nun auch noch dem angestammten Herrscherhaus entfremdet zu werden, war zu viel. Die Volksseele schrie im geheimen nach Befreiung. Umso mehr, da die französischen Husaren, die hier in Quartier lagen, sich keinerlei Gewissen daraus machten, noch schlimmer aufzuspielen als bisher und mit ihren Forderungen noch unverschämter und rücksichtsloser vorgingen.

Trieben sie es zu toll, dann erfolgte wohl ein Wutausbruch eines einzelnen, der aber für die Gesamtheit meist üble Folgen hatte.

So geschah es auch im Niederdorf der Gemeinde Frickhofen, das heute im Volksmund den Namen "Klein-Frankreich" führt.

In den Junitagen des Jahres 1806 ging Jakob Staudt, genannt Großjakobsjakob, mit gemächlichen, seiner wuchtigen Gestalt entsprechenden Schritten, die Sense auf der Schulter, von seinem Häuschen, Ecke Niederdorf und Vordergasse (heute steht an der Stelle die Gastwirtschaft und Metzgerei Johann Herz) das Niederdorf hinab.

Zeichnung von Günter Schardt
Zeichnung von Günter Schardt zur Attacke auf einen französichen Soldaten 1806

Plötzlich, als er nahezu das Ende des Dorfes erreicht hatte, hemmte er lauschend seine Schritte, denn ihm war, als hätte er aus dem Stalle der Wittib Pötsch, dessen Tür weit offen stand, aufgeregten Stimmenaustausch vernommen.

Jakob war einer von denen, die in dieser aufgeregten Zeit immer etwas unheilvolles ahnten.

Vorsichtig näherte er sich dem Ställchen, bis er deutlich die weinerliche Stimme der Wittib Pötsch erkennt: "Na, na, na - et es mei letzt Stickche Vejh, eich loasen et net mitnomme!"

Eine erregte französische Stimme schrie unverständliche Worte.

Es entstand Kettengerassel untermischt von lauten Schreien und dem Brüllen der Kuh. Jakob sprang hinzu und erblickte einen französischen Husar, der das Gewehr an die Wange riß, der Wittib Pötsch einen Stoß vor die Brust versetzte, da sie beschützend vor dem Tiere stand, so daß sie zur Seite flog. Ein Knall, ein Brüllen, ein Frauenschrei. Der Franzose sprang zur Stalltür und sah sich dem Deutschen, der ihn um mehr als Haupteslänge überragte, gegenüber, stockte, überlegte, was nun tun, und schon hatte Jakob gehandelt.

Die Sense von der Schulter, ein Hieb und der Vertreter der Großen Nation lag in seinem Blute. Jakob hatte ihn am Oberschenkel sehr unsanft getroffen.

Ehe noch Wittib Pötsch richtig wußte, was geschehen, rief ihr Jakob zu:

"Wees, Ihr hoat naut gesieh, on weßt, von naut!"

In großen Sätzen eilte er davon und überließ den Viehmörder, der schrecklich schrie, denen die ihm vielleicht helfen würden.

Das waren aber wahrlich keine Frickhöfer, denn alle, die das Geschrei hörten und herbeieilten, um die Ursache zu erfahren, entfernten sich eilenden Schrittes, wenn sie den Husaren in seiner üblen Lage sahen, denn jeder Augenzeuge dieses Vorfalles mußte für sich und seine Habe die schlimmsten Folgen erwarten.

So lag der Franzose mit zerfetztem Oberschenkel, jämmerliche Laute ausstoßend, die nichts menschliches mehr hatten, in eine mächtigen Blutlache, bis ihn seine Landleute fanden und ihm die erste Hilfe gewährten.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von der gerechten Strafe, die der Franzose empfangen hatte, im ganzen Dorfe. In allen Höfen wurden, ebenso wie in allen Wohnstuben, erregte Gespräche geführt, lobend und tadelnd, anerkennend und verwerfend. Doch keiner wußte etwas bestimmtes über die Person des Täters, denn die Wittib blieb, getreu dem Rat, den ihr Jakob gegeben, bei der Aussage, sie wisse nicht, wer der Täter sei, sie habe nur noch gesehen, wie er um die Hausecke verschwunden sei.

Aber auch in den französischen Quartieren ging es äußerst lebhaft her. Besonders erregt war es vor dem Hause, in dem der dienstälteste Offizier wohnte.

Meldereiter flogen im Galopp davon nach den verschiedenen Richtungen.

Was mochten sie beginnen.

Endlich, gegen Mittag wurde der Bürgermeister samt dem Gemeindevorstand in das Quartier des befehlenden Offiziers beordert.

Dort wurde ihnen erklärt:

Die Gemeinde zahlt innerhalb 24 Stunden eine Geldbuße von 700 Gulden.

Bis zu derselben Zeit ist von der Gemeinde der Täter ausfindig zu machen und den Franzosen zur Bestrafung auszuliefern. Sollte der Täter nicht gefunden werden, so werden 50 Morgen Wald, deren Lage von der Besatzungsbehörde bestimmt wird, an das großherzogliche Amt abgetreten.

Nach dieser Eröffnung wurden sie entlassen. An der Tür trafen sie mit einem eintreffenden Soldaten zusammen, der dem Offizier eine Meldung erstattete. Sofort wurden die Vertreter zurückgerufen und der Offizier erklärte ihnen: "Damit Sie wissen, daß es uns bittrer Ernst ist, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die von mir angeforderte Artillerie soeben aufgefahren ist. Jeglcher drohender Aufruhr, sowie Nichterfüllung der gestellten Bedingungen wird mit der Beschießung des Dorfes geahndet. Nun können Sie gehen."

Wie ein Alpdruck lastete es auf den Gemütern der Gemeindeältesten, daß sie einen der Ihren an die Fremden ausliefern sollten.

Anderseits waren 50 Morgen Gemeindewald auch keine Kleinigkeit, aber immer noch eher zu missen als ein Deutscher, der noch gerecht dachte.

So wurden sie denn einig: "Kommt der Täter von selbst, dann ist es gut. Wenn nicht, dann müssen wir eben die 50 Morgen Wald abtreten, aber gesucht wird der Täter nicht!"

Dieser Punkt war rasch erledigt. Aber woher Geld nehmen. In dieser Zeit war jeder froh, wenn er seine silbernen Vögel behalten konnte, und wohl keiner so schnell zu finden, der sie einer schuldbelasteten Gemeinde lieh.

Doch beschafft musste es werden, sonst konnte man mit Kanonenkugeln rechnen, und die würden mehr Schaden anrichten, als die neue Schuldenlast von 700 Gulden.

Nach allen Seiten gingen die Boten los, um die Summe aufzutreiben, koste es was es wolle.

Eine ungeheure Aufregung bemächtigte sich der Einwohnerschaft, die um Hab und Gut bangte. Vorläufig äußerte sich die Erregung nur in Worten, aber als die Dämmerung begann, kamen auch erregte Taten.

Dort huschte einer mit beladenem Sack durch die Hintertür seines Hauses, um etwas Wertvolles zu bergen.

Sein Nachbar sah ihn, tat desgleichen, und bald wimmelte es in allen Höfen und Gärten von stummen, eilenden Sackträgern. Bald folgten Einrichtungsgegenstände und wertloses Gerümpel. Der Vater schleppte es hinaus in den Garten, was ihm wertvoll schien, und die Mutter brachte es von dort in den Keller, da es im Garten gestohlen werden konnte.

Eine aufregende Nacht.

Mit Sonnenaufgang war die ganze Einwohnerschaft vor der Bürgermeisterei versammelt. Es war noch kein Geldgeber gefunden.

Immer größer wurde die Erregung, Man erging sich in den schreckhaftesten Vermutungen und verwünschte den unüberlegten Streich eines Tollkopfs, da man für sich selbst Unbequemlichkeiten befürchtete. Manch kerniges Fluchwort wurde dem unbekannten Täter, der schweigend in ihre Mitte stand, gewidmet.

Es wurde 9, es wurde 10 Uhr und später. Immer noch kein Geld. Die Volkserregung stieg zur Siedehitze. Hätte man jetzt den Täter gebracht, ein Lynchen wäre totsicher eingetreten.

Da plötzlich teilt sich die Menge vor dem Heimberger und dem Jakob Doll von der Staatermühle, die geradewegs zum Bürgermeister gingen.

Bald darauf erschien dieser am Fenster und erklärte der Einwohnerschaft, die Summe von 700 Gulden sei da, und kein Anlaß zu Befürchtungen mehr vorhanden.

Pünktlich um 12 Uhr begab sich der Gemeindevorstand zu dem französischen Offizier und zahlte die von Jakob Doll entliehenen 700 Gulden.

Der Bürgermeister erklärte, da der Täter nicht gefunden, erwarte man die Bezeichnung des abzutretenden Waldes.

Es war nicht der schlechteste Teil des Germbacherwaldes, der an das Großherzogtum Berg abgetreten werden mußte und so an Nassau und später an Luxemburg (Domäne Waldmannshausen) kam.

Die Buße war gezahlt. Der Franzmann hatte seinen Denkzettel, und jeder war froh, daß es für ihn so glimpflich abgelaufen war.

Keiner dachte mehr an die Worte, die er über den Täter ausgesprochen. Im Gegenteil, man bezeichnete ihn schon in vertraulicher Zwiesprache als Held.

Wenn kein Lauscher in der Nähe war, steckte man die Köpfe zusammen und riet hin und her, wer wohl der Tapfere war, der dem fremden Söldner den berechtigten Lohn gegeben. Bis eines Tages, keiner wußte, wer es gesagt, der Name Großjakobsjakob fiel, und alle waren davon überzeugt, daß er der Dorfheld sei, sprachen sich loben über diese unerschrockene Tat aus und zollten ihm offene Anerkennung.

Jakob aber schwieg zustimmend still, und dachte sich seinen Teil …


Einige Monate waren vergangen. Ein mit Grün geschmückter Wagen, beladen mit einer mächtigen Basaltsäule, rollte durch die Dorfstraßen, begleitet von einigen Jungburschen.

Dem Bürgermeister, dem ihnen begegnete und sie nach dem Woher und Wohin befragte, erklärten sie kurz: "nach Kleinfrankreich" und setzten ihren Weg nach dem Niederdorf fort.

Dort pflanzten sie, mitten auf dem Weg, gegenüber dem Heim ihres Helden, die mächtige Säule in die Erde.

Ein Heldendenkmal in Kleinfrankreich.


Jahre zogen übers Land

Der Franzose wurde vertrieben, Großherzogtum Berg aufgelöst, Frickhofen wurde nassauisch.

Jahrzehnte vergingen, aber das Heldendenkmal stand noch immer.

Doch auch seine Zeit sollte kommen. Das Dorf wurde größer. Das Denkmal stand am ungeeignetsten Platz und sollte nach dem Jahr 1848, das dem Dorfe einen neuen Schultheis gebracht, entfernt werden.

Der vorhergehende Schultheis Fröhlich, ein Verwandter der Großjakobs, der sein Amt 1822 bis 1848 versehen, wohnte im letzten Hause in "Kleinfrankreich".

Die Schultheiserei hatte die Entfernung des "dicken Steins" bestimmt, und die Dorfburschen entfernten ihn ohne besonderen Auftrag, aber nach ihrem Gutdünken.

Kirmesmontag

Musik durch die Dorfstraßen.

Burschen, versehen mit Kreuzhacke u. Schippe, ziehen nach "Kleinfrankreich".

Unter den Klängen der Musik wird das Denkmal ausgegraben und zur Behausung des ehemaligen Schultheisen Fröhlich gebracht.

Dort, auf seinem Eigentum, wird es als ehrendes Zeichen weder in die Erde gepflanzt.

Eine Säule ehrt zwei Männer. Männerim wahrsten Sinne des Wortes.


Später wurde der Stein wenige Zentimeter über der der Erdoberfläche abgebrochen, ist aber heute noch auf dem Anwesen des Landwirts Arkadius Schardt, einem Urenkel des Schutltheisen Fröhlich, zu sehen, als ehrendes Andenken an eine Mannestat zur Franzosenzeit in "Kleinfrankreich".