Kultur- und Geschichtsverein
Frickhofen e. V.

Aus der Fülle dieser Artikel möchten wir Ihnen - mit freundlicher Genehmigung des Verlages bzw. der jweiligen Autoren - in diesem Rahmen einige besonders interessante Beispiele zusammenstellen. Zur besseren Orientierung haben wir versucht, die jeweiligen Artikel thematisch zu ordnen.

Artikel von Heribert Heep

Entwicklung der Vereine in Frickhofen

Zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation in Frickhofen

Geschichte einzelner Familien und Personen

Zur Geschichte der Juden in Frickhofen

Weitere Themen

IN MEMORIAM

Siegfried Rosenthal +

Am 2. April 2007 ist Siegfried Rosenthal in Haifa/ Israel 87jährig gestorben. Er war am 12. Dezember 1919 in Frickhofen geboren. Nach Feodor (*1908) und Ida (*1910) war Siegfried das dritte Kind der Eheleute Berthold und Mina Rosenthal, geborene Heilbrunn. Vater Berthold war Weltkriegssoldat, arbeitete nach dem Krieg bei dem Steinbruchbetrieb Saxonia.

Siegfried Rosenthal vor dem Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof

Siegfried Rosenthal besuchte die Volksschule Frickhofen. Sonntags ging er zum jüdischen Religions-unterricht in der Synagoge zu Hadamar, wo er insbe-sondere auf die jüdische Bar Mitzwa vorbereitet wurde, die Aufnahmefeier als Vollmitglied der jüdischen Synagoge. Als Siegfried 1934 eine schon zugesagte Lehrstelle beim Frickhofer Metzgermeister Hertz auf Betreiben der örtlichen NS-Partei nicht antreten konnte, besorgte ihm sein Bruder Feodor eine Backereilehrstelle in Kassel.

Die Familie Berthold Rosenthal wohnte während der Schulzeit von Siegfried in Herings Haus an der Eisenbahnbrücke Richtung Dorchheim. "Als dann Herings Grete geheiratet hat", so erzählte Siegfried später, "mussten wir raus. Wir haben dann ein bis zwei Jahre bei Pistors in der Waldstraße gewohnt. Schließlich haben wir dann eine Wohnung in dem neu gebauten Haus von Schefflers in der Schulstraße gefunden. Meine Mutter Mina war befreundet mit der Mutter von Alfons und Martin Klein. Die hat dafür gesorgt, dass wir diese Wohnung bekamen. Als dann die jungen Leute etwa um 1937/38 geheiratet haben, sind meine Eltern und meine Schwester Ida mit ihrem Mann Albrecht in das Haus von Dina Hofmann in der Bahnhofsstraße gezogen. Ich selbst habe damals in Isselbach bei dem Viehhändler Jakob Isselbacher gearbeitet."

An die Ereignisse von dem November-Pogrom 1938 denkt Siegfried Rosenthal nur mit Grausen: "Bei uns in Isselbach hat es so gegen 20.30 Uhr angefangen. Die Nazis sind schreiend in die jüdischen Häuser gestürmt und haben alles demoliert. Wir konnten uns ja nicht wehren, weil es so viele waren. Und weglaufen konnte man auch nicht, weil sie vorher das ganze Dort umstellt hatten, damit keiner raus konnte. Ohne Pardon haben sie auf die Köpfe eingeschlagen, die Kerle waren sehr gemein gegen die Frauen, auf dem Misthaufen lagen blutende Männer. Mich und die anderen Jungen haben sie zusammengetrieben und ins Backhaus gesteckt. Später wurden wir ins Gefängnis in Limburg gebracht und am nächsten Tag ging's mit dem Zug nach Frankfurt und Weimar. Von dort aus kam ich nach Buchenwald."

"Von Frickhofen", so Rosenthal weiter, "hat mir meine Schwester Ida ebenfalls schlimme Vorfälle erzählt. Meine Eltern, Schwester und Schwager wurden im Haus der Dina Hofmann schrecklich drangsaliert. Die Nazi-SA hat damals in der Kristallnacht mit großen Steinen alle Fenster des Hauses eingeworfen. Ein Stein landete direkt neben dem Kopf meines Neffen Harry, der damals acht Monate alt war. Nach diesem Schock flüchtete Dina Hofmann zu ihrer Tochter nach Waldbreitbach: meine Eltern und die Schwester-Familie wurden aus dem Haus geworfen, die Möbel stellte man einfach auf die Straße. Das Haus hat sich ein Frickhöfer Parteimann unter den Nagel gerissen. Meine Eltern kamen im Haus des Salomon Kaiser unter, noch bevor dieses Haus zum Ghetto-Haus für alle verbliebenen Frickhöfer Juden wurde."

Siegfrieds Schwester Ida, verheiratete Albrecht, hatte von ihrer Arbeitsstelle her Verbindungen zu höheren Parteistellen und sogar SS-Leuten. Durch mehrfaches Vorstellen erreichte sie, dass ihr Mann Albrecht, ihr Bruder Siegfried und der Frickhöfer Richard Hofmann schon kurz nach Weihnachten aus dem KZ Buchenwald entlassen wurden.

Über Idas Verbindungen, aber entscheidend durch das hartnäckige Bemühen von Berthold Rosenthal bei Frankfurter Stellen und Stationen gelang es, fünf Plätze für eine Schiffspassage nach Shanghai zu buchen. Zu diesem Zeitpunkt - April 1939 - war China das einzige Land auf der Welt, wo deutsche Juden Asyl finden konnten. Richard Hofmann aus der Lange Straße, Siegfried Rosenthal, seine Schwester Ida mit Mann Albrecht und Sohn Harry waren die letzten Juden, die aus Frickhofen auswandern bzw. flüchten konnten.

Siegfried erzählte weiter, dass sein Vater Berthold zu jener Zeit schon sehr leidend war. Er war an Darmkrebs erkrankt und bekam operativ einen seitlichen Ausgang gesetzt. Trotzdem wurde er im Frühjahr 1940 noch zum Arbeitsdienst verpflichtet und musste in der "Luh" bei Niederzeuzheim schwere Erd- und Waldarbeiten verrichten. Berthold Rosenthal starb im Jahr 1941. Siegfrieds Mutter Mina Rosen¬thal wurde im August 1942 mit den andern verbliebenen Frickhöfer Juden über Frankfurt ins KZ Auschwitz deportiert und starb dort im Jahre 1943.

1948 ließ sich Siegfried Rosenthal in der Hafenstadt Haifa im damals neu gegründeten Staat Israel nieder. An verschiedenen Stellen beim Aufbau von Stadt und Staat beschäftigt, fand er schließlich als Schiffskoch eine Lebensstellung. Siegfried heiratete die Witwe Elisabeth Feldmann. die die Tochter Edna mit in die Ehe brachte.

Siegfried Rosenthal vor der ehemaligen Synagoge in Hadamar

"1969 war ich zum ersten Mal nach dreißig Jahren wieder in Deutschland und in meinem Heimatort Frickhofen. Damals war der jüdische Gemeindefriedhof am Steinbruch in einem ganz schlechten Zustand. Wir haben dann beraten und beschlossen, den Friedhof wieder herzustellen. Wir, das waren Walter Heilbrunn, mein Bruder Feodor und ich. Ich habe die Neugestaltung dem Landesrabbiner in Wiesbaden gemeldet und begründet. Der war allerdings nicht damit einverstanden, wie wir das machen wollten. Während der Ausbauphase war ich schon wieder in Israel und Feodor und Walter haben das übernommen. Umfassungsstein, Kies etc. bestellten sie bei der Opper Marie. Als es dann ans Bezahlen ging, haben Feodor und Walter gesagt, sie soll die Rechnung an Siegfried Rosenthal in Haifa schicken. Man hat sich dann an den Bürgermeister und den Landrat gewandt. Landrat Wolf hat sich schließlich für die Sache eingesetzt, die Kosten übernommen und einen eigenen Gedenkstein setzen lassen. Der Landrat war auch bei der Einweihung des Friedhofs dabei."

"Bei den Ausführungen stellte sich die Frage: Wohin mit den alten, zerbrochenen Grabsteinen? Ich wollte die Grabsteinteile außerhalb des eigentlichen Gräberfeldes 'begraben', aber dann stellte sich heraus, dass auch dort Leichen im Boden lagen, offenbar von Kindern, die totgeboren oder noch vor der Beschneidung gestorben, dort ohne Zeremonie begraben worden sind. Also wurden die Grabsteinreste oberhalb des neu gestalteten Friedhofs im Wald zusammengetragen. Inzwischen hat man sie wieder auf dem Friedhofsareal gelagert. Aber sie sollten endgültig - wie nach jüdischer Sitte üblich - 'begraben' werden."

Nach 1969 besucht Siegfried Rosenthal regelmäßig seinen Heimatort und verbringt seinen Urlaub in Frickhofen, wo er beim Metzger Schorsch logiert. Nach seiner Pensionierung Anfang der 80er Jahre kann er sich jährlich einen längeren Aufenthalt in Deutschland ertauben. Er wohnt manchmal mehrere Sommermonate in einer Pension in Camberg-Würges und besucht von dort Frickhofen, trifft alte Bekannte und nimmt an den Treffen seiner alten Volksschulklasse teil.

Noch als Achtzigjähriger lässt es sich Siegfried Rosenthal nicht nehmen, jährlich seine alte Heimat zu besuchen. Mit Frau Elisabeth und Tochter Edna hält sich die Familie Rosenthal jeweils 14 Tage im Raum Hadamar / Frickhofen auf sowie bei Nürnberg, der Heimat von Elisabeth Rosenthal.

Im Kultur- und Geschichtsverein Frickhofen und in Gesprächen mit Siegfried reift der Entschluss, eine Gedenktafel für die Frickhöfer Juden am Rathaus anzubringen, für "die jüdischen Mitbürger, die in der Nazi-Zeit drangsaliert, vertrieben, verschleppt oder ermordet wurden. Betroffen waren die Familien Abraham. Hartmann. Heilbrunn, Hofmann. Kaiser. Rosenthal. Wolf und Schardt, insgesamt 33 Personen", so der Text der Tafel. Geplant war die Eröffnung und Anbringung des Gedenkschildes im Herbst 2003, 65 Jahre nach der Pogromnacht. Wegen Krankheit und Knieoperation von Siegfried wurde die Einweihung um ein Jahr verschoben.

Am 14. Juli 2004 wurde im Beisein der Familie Rosenthal und Siegfrieds Neffen Harry die Gedenktafel an der Straßenseite des Rathauses enthüllt. Harry Abraham aus Cleveland / Ohio. 1938 in Frickhofen geboren, sprach in bewegenden Worten von Vergangenheit und besserer Zukunft. Ca. 60 bis 70 Frickhöfer waren anwesend und wurden anschließend ins Pfarrzentrum geladen. Dort war eine kleine Ausstellung zu besichtigen, zugleich Anregung für Gespräche und Erinnerungen. Es war für Siegfried Rosenthal eine wichtige Erfahrung, dass er vor Frickhöfer Publikum noch einmal seine Geschichte erzählen konnte, von Jugenderinnerungen und Kameradschaftserfahrungen, von Nazi-Schikanen und nachbarschaftlichen Hilfen, von seinem Wiederkommen und verschiedenen Wiedersehen, von seiner tiefen Liebe zu seiner ersten Heimat Frickhofen.

Hubert Hecker