Kultur- und Geschichtsverein
Frickhofen e. V.

Aus der Fülle dieser Artikel möchten wir Ihnen - mit freundlicher Genehmigung des Verlages bzw. der jweiligen Autoren - in diesem Rahmen einige besonders interessante Beispiele zusammenstellen. Zur besseren Orientierung haben wir versucht, die jeweiligen Artikel thematisch zu ordnen.

Artikel von Heribert Heep

Entwicklung der Vereine in Frickhofen

Zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation in Frickhofen

Geschichte einzelner Familien und Personen

Zur Geschichte der Juden in Frickhofen

Weitere Themen

9. / 10. November 1938

POGROM GEGEN DIE JUDEN IN FRICKHOFEN

Die erste Phase der Judenverfolgung im Dritten Reich datiert von 1933 bis 35 vom Boykottaufruf gegenüber jüdischen Geschäften bis zu den berüchtigten Nürnberger Blutschutzgesetzen im September 1935. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Olympischen Spiele 1936 wurde zumindest in der Staats- und Parteipropaganda die Hetzkampagne etwas zurückgefahren. Danach zog man die Schraube gegen den jüdischen Bevölkerungsteil der Deutschen wieder an. Die Regierungsverordnungen und -maßnahmen von 1938 mögen ein Bild von der ökonomischen Einschnürung und persönlichen Schikanierung geben: Anmeldung des Vermögens über 5.000 DM (26.4.); Kennzeichnung von jedem jüdischen Gewerbebetrieb (14.6.): Berufsverbot für jüdische Arzte und Rechtsanwälte (25.7./27.9.); Verbot des Versteigerungs- (12.2.) und Grundstückshandels von Juden (6. 6.); Zwangseinführung der zusätzlichen Vornamen Sarah und Israel für jede jüdische Person. Die Zahl der seit 1933 ausgewanderten Juden stieg im Jahr 1938 auf ca. 170.000 (von 500.000 jüdischen deutschen Staatsbürgern 1933). Ende Oktober 1938 wurden 15.000 bis 17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit nach Polen abgeschoben.

Unter diesen Ausgewiesenen befand sich auch das ältere Ehepaar Grynzpan. Die Eheleute waren 1911 aus Russisch-Polen nach Deutschland eingewandert und seither in Hannover ansässig gewesen. Ihr Sohn Herschel lebte seit 1936 in Paris. Auch ihm drohte die Ausweisung nach Deutschland und dann nach Polen. Am 7. Nov. 1938 erschoß dieser 17jährige deutsche Jude den deutschen Botschafter in Paris. Nach eigenen Angaben wollte Grynzpan damit die deutschen Juden im allgemeinen insbesondere aber seine soeben nach Polen ausgewiesenen Eltern rächen.

Dieses Attentat schlachtete die Propagandamaschine der Nazis als eine Aktion der jüdischen Weltverschwörung gegen das nationalsozialistische Deutschland aus. Die dann folgenden Terroraktionen gegen die jüdische Bevölkerung wurden als spontane Volkswut hingestellt. Tatsächlich führten schon am 8.11. vereinzelt Parteigruppierungen unter der Leitung von NS-Bürgermeistern, Ortsgruppenleitern und anderen Parteiführern Gewaltaktionen gegen jüdische Einrichtungen durch. Aber selbst diese Sturmaktionen waren schon Ergebnis von Pressehetze propagandistischer Aufpeitschung von Haß und erzeugter Pogromstimmung.

In der Nacht vom 9. zum 10. wurden die Gewaltaktion generalstabmäßig koordiniert und organisiert. An der Pogromaktion waren alle Parteieinheiten mehr oder weniger beteiligt. Die Federführung hatte die SA; die SS wurde ausdrücklich zurückgehalten. Aus einem Befehlsprotokoll eines SA-Gruppenführers: Sämtliche jüdische Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der Zerstörung hat eine SA-Wache vor dem Geschäft aufzuziehen ... Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische Symbole sind sicherzustellen. Die Feuerwehr darf nicht eingreifen. Deutsche aber auch jüdische anliegende Wohnhäuser sind zu schützen allerdings müssen die Juden raus da Arier dort in den nächsten Tagen einziehen werden. Die Polizei darf nicht eingreifen...

... Dieser allgemeine Befehl wurde nach den örtlichen Verhältnissen variiert. Im Westerwald wurden die SA-Mannschaften der Orte in denen Juden wohnten ausgetauscht. In Frickhofen waren es vorwiegend Langendernbacher SA-Leute die unter Führung und Hinweisen von einheimischen SA-Leuten grölend durch die Ortsstraßen zu den einzelnen Judenhäuser zogen und dann die Bewohner drangsalierten. (Die Frickhöfer SA verbreitete in Langendernbach Terror.) Die Frickhöfer Synagoge in der Egenolfstr. wurde natürlich nicht in Brand gesteckt weil sie ein Anlehnhaus war. Aber die Inneneinrichtung und die Fenster wurden vollständig zerschlagen. Die Thora nahm man vor der Zerstörung beiseite und deponierte sie im Bürgermeisteramt. Mehrere jüdische Männer und Frauen wurden aus ihren Häusern getrieben und nach Limburg verschleppt. Mindestens zwei Juden aus Frickhofen Siegfried Rosenthal und Albrecht Abraham wurden danach 6 Wochen lang im KZ Buchenwald in Sicherheitsverwahrung genommen.

Auf dem Hintergrund dieser tatsächlichen Ereignisse und Triebkräfte ist die tendenziöse Eintragung in der Schulchronik von Frickhofen zu lesen: "Der tragische Tod des Gesandtschaftsrates Emst vom Rath im Paris durch die feige Mordtat eines Juden hat die größte Erregung in ganz Deutschland hervorgerufen. In der Schule wurde des für das Deutschtum gefallenen Botschaftsrates in einer Feierstunde gedacht und die Haltung des Nationalsozialismus zu den Juden klar herausgestellt. Die dann eingetretenen Eingriffe, die spontan aus dem Volke hervorbrachen, zeigten den Juden die Sympathie, die sie vom deutschen Volk zu vergegenwärtigen haben. Am 10.11.38 wurden auch hier von der erregten Volksmenge, die noch von Männern aus den Nachbardörfem verstärkt war, an den Judenführern und der Synagoge die Fenster eingeschlagen. Die männlichen Juden wurden an demselben Abend auf Lastwagen nach Limburg gefahren. Laut Anordnung des Herrn Unterrichtsminister würden die Juden in ganz Deutschland am 14.11.1938 ausgeschult. Es betraf an unserer Schule Judenkinder."

Am Montag, dem 9.11., soll durch eine historische Ortsbegehung in Frickhofen die Erinnerung an die Pogromnacht und die jüdischen Ein¬wohner des Ortes wachgehalten werden. Treffpunkt: 18.00 Uhr Rathaus. Bei dem Rundgang zu den Häusern, in denen Judenfamilien lebten, soll die Geschichte der Juden in Frickhofen erläutert werden.

Hubert Hecker